Antonio Dias. Project for “The Body”
von
Sérgio B. Martins

Nachdem er Rio de Janeiro Ende 1966 verlassen hatte, befasste sich Antonio Dias zunehmend mit Objekten, nahm an öffentlichen Interventionen und Happenings teil und experimentierte mit Video und anderen Medien. Nichtsdestotrotz blieb die Malerei stets sein wichtigstes Standbein – oder vielmehr erfand er sie für sich als solches.

Im Sprung zusammengekauert, unscharf und vollkommen eingerahmt von der monochrom weissen, mittleren Tafel seines Triptychons Project for “The Body” von 1970: so zeigt eine Reihe bemerkenswerter Fotos aus demselben Jahr Antonio Dias bei seiner Soloausstellung in der Mailänder Galerie Studio Marconi. Die starke perspektivische Verkürzung, vom Fotografen Giorgio Colombo vermutlich gewählt, um das sechs Meter breite Rechteck der drei Tafeln nicht allzu sehr zu verzerren, fällt vor dem dezent einfarbigen Zementboden der Galerie kaum auf. Insgesamt wirkt dadurch die freischwebende Position des Künstlers besonders absurd. Es erscheint zweifelhaft, ob sein Körper überhaupt dem umgebenden architektonischen Raum angehört – oder doch eher ein auf die weisse Tafel gedrucktes Bild darstellt?

Antonio Dias, Project for “The Body”, 1970. Installation view with the artist at Studio Marconi, Milan, 1970. Photo: Giorgio Colombo.

Der performative Schub hinter diesen Bildern erinnert einerseits an jene Kapriolen des Nouveau Réalisme, die sicherlich auch Dias kannte – man denke etwa an Yves Kleins Sprung in die Leere (1960) –, obwohl sie in ihrer Nüchternheit weit entfernt von Kleins Selbstverherrlichung sind. Mit der befransten Westernjacke, dem Fell eines Tieres gleichend, mutet Dias’ verschwommene, zusammengekauerte Gestalt eher teuflisch-animalisch an und scheint zumindest weitgehend frei zu sein von auktorialer, konzeptueller oder ritueller Autorität. Andererseits lassen sich die Fotos auch als eine Parodie auf die anthropomorphen Proportionen so vieler Werke der Arte Povera lesen, wie Giuseppe Penones La mia altezza, la lunghezza delle mie braccia, il mio spessore in un ruscello (1968), Alighiero Boettis Catasta (1966) oder Luciano Fabros In Cubo (1966), um nur einige zu nennen. Sie alle basieren direkt auf der Körpergrösse und Spannweite ihrer Erschaffer (oder ausgewählter Personen, wie im Fall der von Fabro für die Kunstkritikerin Carla Lonzi massgeschneiderten Version von In Cubo). Zweifelsohne bilden bei der Betrachtung eines Bildes, das den Titel Project for “The Body” trägt, solche zeitgenössischen Spielarten des vitruvianischen Menschen einen angebrachten Bezugsrahmen.

Antonio Dias, Project for “The Body”, 1970. Daros Latinamerica Collection, Zürich.

Dies wiederum führt zum Thema der Malerei an sich: In der Tat ist sie ein gleichsam merkwürdiges Medium vor dem Hintergrund des mit der Konzeptkunst aufkommenden Repertoires an Materialien und Techniken, wenn auch die Arbeiten von Künstlern wie Giulio Paolini zeigen, dass Dias als Maler keineswegs allein dastand. Ausserdem war er mitnichten ausschliesslich Maler. Nachdem er Ende 1966 Rio de Janeiro verlassen hatte, lebte er für kurze Zeit in Paris, wo er sich zunehmend mit Objekten befasste; 1968 zog er nach Mailand um und gehörte dort der kurzlebigen Gruppe Art Terminal des Kritikers Tommasso Trini an, mit der er auch an öffentlichen Interventionen und Happenings beteiligt war; darüber hinaus experimentierte er durch die 1970er hindurch kontinuierlich mit Video und anderen Medien. Nichtsdestotrotz blieb die Malerei stets sein wichtigstes Standbein – oder vielmehr erfand er sie für sich als solches. In 1968 konzipierte Dias sein Project-book – 10 plans for open projects (Projektbuch – 10 Entwürfe für offene Projekte). Wie der Titel erahnen lässt, handelt es sich um ein Künstlerbuch mit Plänen und Entwürfen für Umgebungen und Monumente, die ursprünglich dazu vorgesehen waren, in verschiedenen Massstäben gebaut zu werden. Mit Ausnahme des erwähnenswerten Do It Yourself: Freedom Territory (1968) blieben die Projekte ungebaut, wie auch das Buch bis 1977 (Trama) unveröffentlicht blieb. Ungebaut heisst jedoch nicht unrealisiert: die grundlegenden Motive einiger der malerischen Schlüsselwerke Dias’, so zum Beispiel Anywhere Is My Land (1968), sind dem Project-book entlehnt. War ihm die Malerei also einfach eine weitere Möglichkeit, ein Projekt – oder ein „Probjekt“, wie Dias gerne selbst seine Entwürfe bezeichnete – zu verwirklichen?

Antonio Dias, Do It Yourself: Freedom Territory, 1968. Daros Latinamerica Collection, Zürich.
Antonio Dias, Anywhere Is My Land, 1968. Private collection

Dias’ frühere Malereien wurden kritisch mit dem Begriff des Objekts belegt, im Sinne eines Anti-Mediums, eines Mittels, die Malerei für die Materie und für die soziale Realität zu öffnen, so wie auch die vielen Fortsätze aus seinen Malereien in den Raum davor drängen. Ihr Status des „Objektiven“ stand dadurch im Gegensatz zu dem, was Kritiker wie Mário Pedrosa oder Künstler wie Hélio Oiticica als die rein bildbasierte Sprache des Pop betrachteten. Dias’ italienisches Umfeld bestärkte noch diese Skepsis: zu dem Zeitpunkt, als Germano Celant in seinen frühen Arte Povera-Schriften Vorbehalte gegenüber Pop äusserte, da hatte der Maler Michelangelo Pistoletto, quasi als Präzedenzfall, bereits Leo Castellis Angebote zurückgewiesen und war aus New York nach Turin zurückgekehrt, wo er die Beschäftigung mit seinen zum Markenzeichen gewordenen Spiegeln abbrach und die Arbeit an einer radikal anti-stilistischen Werkreihe namens Minus-Objekte aufnahm. Völlig neu war für Dias der Druck aus der entgegengesetzten Richtung: Schilderungen des Künstlers entsprechend hatte Trini einst vorgeschlagen, dass die Malerei doch einfach durch die Fotokopie – dem favorisierten Medium Joseph Kosuths – ersetzt werden könne, und zwar ohne erkennbare Verluste. Dias griff diesen Vorschlag offenbar nicht auf; damit lehnte er es letztlich auch ab, seine frühere Kritik an Pop-Malerei zugunsten eines positivistischen, technischen Determinismus zu revidieren und erteilte weiterhin dem Postulat, die meisten durch die Konzeptkunst eröffneten radikalen Möglichkeiten liessen sich nur in der völligen „Dematerialisierung der Kunst“ oder durch massenhaft reproduzierbare Medien erschliessen, eine Absage. Tatsächlich wird in der trockenen Ironie von Arbeiten wie Sun Photo as Self-Portrait (1968) das Gegenteil evident. Die derart explizit malerisch ausgeführte Meditation über die Natur des Mediums der Fotografie ist vielmehr ein Fingerzeig auf die Hybris, die sich hinter den positivistischen Ansprüchen des dokumentarischen Realismus verbirgt. 

Antonio Dias, Sun Photo as Self-Portrait, 1968. Private collection

Luciano Fabro bemerkte einmal, dass der logische Positivismus der Konzeptkunst eine verkürzte Wahrnehmung in Südeuropa erfahre, wo die „Tradition der kognitiven Philosophie im konkreten Sinne“ vorherrsche.1  1 Luciano Fabro, “Entendo Shakespeare, posso até participar, mas falo como Dante, entrevista com Glória Ferreira”, in: Glória Ferreira (Hrsg.), Luciano Fabro. Rio de Janeiro, Centro de Arte Hélio Oiticica, 1997, S. 97. („Ich verstehe Shakespeare, ich kann sogar mitmachen, aber ich spreche wie Dante: Luciano Fabro, im Interview mit Glória Ferreira“; Übersetzung von Andrea Thode, auf der Grundlage der englischen Fassung von Renato Rezende im gleichen Katalog.) In ihrer Fusion von Malerei, Schrift, Fotografie und Performance dienen Colombos Fotos von Dias vor dessen Project for “The Body” sicherlich als ein Paradebeispiel hierfür. Denn in diesem Sinne schreiben sie sich in jenem kritischen Moment ein, an dem zwei relativ periphere Ausrichtungen – die Dias’und der brasilianischen Avantgarde vis-à-vis dem westlichen Norden, und jene der italienischen Neo-Avantgarde vis-à-vis dem Europäischen Norden – eine Alternative zur Doxa der Konzeptkunst bieten, mit Implikationen, deren Erforschung durch die zeitgenössische Kunstwissenschaft noch aussteht. 

Sérgio B. Martins, 2017  Sérgio B. Martins ist Kunstkritiker und Professor am Historischen Seminar der Pontifícia Universidade Católica do Rio de Janeiro (PUC-Rio), Brasilien.

(Übersetzung von Andrea Thode)