Horacio Zabala. Dystopische Architekturen und Kartografien
von
Rodrigo Alonso

In den frühen 1970er-Jahren gliedert sich Hoaracio Zabalas Produktion in zwei Hauptlinien: die Kartografien und die Gefängnisarchitekturen. Erstere basiert auf Eingriffen in Schullandkarten, die einige der im lateinamerikanischen Raum auftretenden Probleme verdeutlichen; die zweite geht von Architekturplänen und -skizzen aus und zeigt die Politik der Verfolgung und Unterdrückung seitens der autoritären Regimes, von denen diese Gegend heimgesucht wird.

Zu Beginn der 1970er-Jahre entwirft Horacio Zabala im Rahmen der Aktivitäten des Centro de Arte y Comunicación (CAYC) eine Sammlung von Arbeiten mit eindeutig politischer Konnotation. Der Leiter dieser Einrichtung, der Kunstkritiker und Manager Jorge Glusberg (1932–2012), fördert über ein Verfahren, das er Ideologischen Konzeptualismus nennt, die Produktion von Arbeiten, die die einzigartige Situation des von grossen sozialen Krisen, Militärdiktaturen und zivilen Widerstandsbewegungen gezeichneten lateinamerikanischen Kontinents reflektieren.

Zabala ist ohne Zweifel einer der herausragendsten Vertreter dieser konzeptuellen Strömung. Mit Hilfe von Schullandkarten, Stempeln, literarischen Zitaten und während des Architekturstudiums erlernten planerischen Werkzeugen schafft er mit einfachen Materialien und starken Effekten eine symbolische Poetik, die über die Macht, Zensur, soziale Instabilität und die politischen Konflikte meditiert, die aus dem überall in der Region vorherrschenden, beängstigenden Epochenklima erwachsen.

In diesen Jahren gliedert sich die Produktion des argentinischen Künstlers in zwei Hauptlinien: die Kartografien und die Gefängnisarchitekturen. Erstere basiert auf Eingriffen in Schullandkarten, die einige der im lateinamerikanischen Raum auftretenden Probleme verdeutlichen; die zweite geht von Architekturplänen und -skizzen aus und zeigt die Politik der Verfolgung und Unterdrückung seitens der autoritären Regimes, von denen diese Gegend heimgesucht wird.

Horacio Zabala, Este papel es una cárcel, 1972. Daros Latinamerica Collection, Zürich.

Die Fotografie Este papel es una cárcel (1972, Dieses Papier ist ein Gefängnis) ist in gewisser Weise eine prämonitorische Arbeit. Zabala zieht darin den vermeintlich befreienden Charakter der künstlerischen Praxis in Zweifel und zeigt gleichzeitig ihre materiellen und symbolischen Grenzen auf. Ist das Gefängnis in dieser Arbeit vor allem eine Metapher für die Stellung des Künstlers in einem zunehmend institutionalisierten ästhetischen System, so wird es ab 1973, mit dem Sturz Salvador Allendes in Chile und der zunehmenden Verfolgung von Künstlern und Intellektuellen, zu einem Signifikanten dieser besonderen politisch-sozialen Situation.

Horacio Zabala, Anteproyecto de cárcel subterránea para artistas (A); Anteproyecto de cárcel flotante para artistas (B); Anteproyecto de cárcel sobre columna para artistas (C), 1973. Daros Latinamerica Collection, Zürich.

Die Anteproyectos de cárceles para artistas (1973–1975, Vorentwürfe von Gefängnissen für Künstler) zeigen mit einer Mischung aus Sarkasmus und Ironie den Raum auf, der dem Kunstschaffenden in totalitären Regimen zugewiesen wird. Mit der Präzision der architektonischen Sprache und ihrer einzigartigen Visualisierungsmethode stellt Zabala verschiedene repressive Wohnräume dar, die die Künstler zu extremer Isolation verdammen. Die Gefängnisräume sind individuell und passen sich an die verschiedenen geographischen Situationen an; einige wurden speziell für Orte wie den Río de la Plata oder die Sierras de Córdoba (Córdoba-Gebirge, gelegen im Inland der Republik Argentinien) entworfen. „Das Gefängnis ist eine Ganzheit und Einheit, die die Freiheit beschränkt, indem es den Menschen von seiner Ganzheit und Einheit trennt, ihn ausschliesst und ihm diese verweigert bzw. raubt“, schreibt der Künstler in einem ein paar Jahre später veröffentlichten Text.1 1 Horacio Zabala, “Oggi, l’arte è un carcere”, in: Russo, Luigi (Hrsg.), Oggi l’arte è un carcere? Bologna, Il Mulino, 1981. Bemerkenswert ist auch, dass diese Arbeiten direkt vor dem Erscheinen des Buchs Surveiller et punir. Naissance de la prison (1975, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses) von Michel Foucault entstanden, in dem der französische Philosoph seine Theorie der disziplinarischen Systeme als Grundlagen der modernen Gesellschaften darlegt.

Die Kartografien machen die Spannungen deutlich, die zwischen den geographischen Besonderheiten eines Gebiets, seinen Lebensbedingungen und deren visueller Umsetzung bestehen. Während die Landkarten tendenziell feste Einheiten abbilden – Nationen, Grenzen, natürliche Erhebungen etc. –, sind die sich darin ausformenden soziopolitischen Realitäten alles andere als konstant. 

Horacio Zabala, Revisar/Censurar, 1974. Daros Latinamerica Collection, Zürich.

Horacio Zabalas Eingriffe wollen die Aufmerksamkeit auf diese Diskrepanz lenken. Mittels einfacher Aktionen, die die offiziellen Topologien durcheinanderbringen, präsentiert der Künstler die lateinamerikanische Region als Konfliktszenario. In Revisar/Censurar (1974, Überprüfen/Zensieren) gipfelt beispielsweise die Wiederholung dieser beiden mit Gummistempeln auf die entsprechenden Lateinamerika-Karten aufgedruckten Wörter in der kompletten Überdeckung dieses Gebiets, was eine offene Anspielung auf die Folgen der Überwachung und der Zensur darstellt. Bei anderen Arbeiten verwendet er Feuer als Signifikant für politische Gewalt oder wandelt den Umriss von Kontinenten und Ländern ab, um die Instabilität der Darstellungen unseres Weltbilds aufzuzeigen. Die Verwendung von Schullandkarten erinnert uns daran, dass unsere Vorstellungen von geopolitischer Identität, Hoheitsgebiet und Nation genau über die Schule aufgebaut werden. Die Veränderungen, die der Künstler an ihnen vornimmt, stellen ihren rein deskriptiven Charakter in Frage und machen sie zu analytischen und kritischen Instrumenten. 

Horacio Zabala, Seis imágenes del fragmento 30 (I), 1973. Daros Latinamerica Collection, Zürich.

Besondere Erwähnung sollten schliesslich noch jene Arbeiten finden, in denen sich Zabalas Anliegen mit philosophischen und literarischen Bezügen mischen. Das ist beispielsweise bei Seis imágenes del fragmento 30 (1973, Sechs Bilder des Fragments 30) der Fall, in der Zabala auf ein Heraklit-Zitat Bezug nimmt und eine Sammlung von Südamerika-Karten mit Feuer perforiert, oder bei Anteproyecto para Tzinacán (1975, Vorentwürfe für Tzinacán), wo das Architekturvorhaben eines Gefängnisses dargestellt wird, das von Jorge Luis Borges’ Erzählung La escritura del Dios (1949, Die Inschrift des Gottes) inspiriert wurde. 

Horacio Zabala, Anteproyecto para Tzinacán (III), 1975. Daros Latinamerica Collection, Zürich.

Diese Werke zeigen die intellektuelle Bildung des Künstlers, der zahlreiche Bücher publiziert hat, z. B. El arte o el mundo por segunda vez (1998, Die Kunst oder die Welt zum zweiten Mal), El arte en cuestión. Conversaciones (2000, Über die Kunst. Gespräche) und Marcel Duchamp y los restos del ready-made (2008, Marcel Duchamp und die Überbleibsel des Ready-made).

Rodrigo Alonso, 2017 Rodrigo Alonso ist freischaffender Kurator und Professor für Zeitgenössische Kunst an der Universidad Nacional de las Artes, Buenos Aires, Argentinien.

(Übersetzung von Marianne Gareis)